Jeder in der (Anlagen-)Baubranche tätige Auftraggeber, Auftragnehmer, (Fach-)Planer und Sachverständige kennt sie – Konflikte im Zusammenhang mit der Planung, Bauausführung oder Mängelhaftung. Die Gründe sind vielfältig. So treffen im Rahmen der Bauausführung eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen der Baubeteiligten (Behörden, Auftraggeber, Auftragnehmer, Planer, Handwerker, Lieferanten etc.) aufeinander. Hinzu kommt ein ständig hoher Termin-, Kosten- und Qualitätsdruck, ein oftmals gestörter Informationsfluss, unzureichende Kommunikation, unklare Vertrags- und Ausschreibungsbedingungen, Änderungen der Bauausführung, Zusatzleistungen oder Qualitätsmängel. Die wirtschaftlichen Folgen belasten alle Baubeteiligten. Nicht selten zerbrechen spätestens während langwieriger Gerichtsverfahren langjährige Geschäftsbeziehungen.
Dass für die Nachhaltigkeit und den Erfolg von (Anlagen-)Bauprojekten der richtige Umgang mit auftretenden Konflikten erforderlich ist, um steigende Konfliktkosten in der Zukunft zu minimieren oder gar zu vermeiden, ist keine neue Erkenntnis. So steigt seit Jahren das Interesse für die außergerichtliche Beilegung von (Anlagen-)Baukonflikten.
Oftmals stellt sich für die am Bau Beteiligten aber die Frage, welches außergerichtliche Konfliktlösungsverfahren sich für ihr (Anlagen-)Bauprojekt anbieten könnte und welche vertraglichen und verfahrensrechtlichen Regelungen zu vereinbaren sind, wenn der Weg zum ordentlichen Gericht vermieden werden soll. Antworten bietet die zum 01. September 2021 aktualisierte
„Streitlösungsordnung für das Bauwesen“ (SL-Bau).
Die SL-Bau steht in einer langen Tradition von Verfahrensordnungen für die außergerichtliche Streitbeilegung in Bausachen. Bereits im Jahre 1909 wurde durch den Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (DBV) die erste Schiedsgerichtsordnung der Öffentlichkeit vorgestellt. Seit 1974 wird sie gemeinsam mit der Deutsche Gesellschaft für Baurecht e.V. ständig fortgeschrieben und an die Entwicklungen der außergerichtlichen Konfliktlösungsmethoden angepasst.
Die SL Bau in der Fassung vom 01. September 2021 ermöglicht den Parteien die Wahl zwischen fünf unterschiedlichen Streitlösungsverfahren, den “Big Five“ der Konfliktlösungsverfahren / Alternative Dispute Resolution (ADR-Verfahren)
Ergänzt wird die Verfahrensordnung durch Mustervereinbarungen für die vertragliche Einbindung der außergerichtlichen Verfahren der SL Bau in den (Anlagen-)Bauvertrag nebst Mustervertrag der Parteien mit einem unparteiischen Dritten, dem sog. „Streitlöser“.
Die SL-Bau ist in sechs Abschnitte gegliedert. Abschnitt I beinhaltet allgemeine Bestimmungen, die für alle fünf Streitlösungsverfahren Gültigkeit haben. Im Anschluss finden sich in den Abschnitten II - VI Regelungen für die Mediation, die Schlichtung, die Adjudikation, das Schiedsgerichtsverfahren und das Schiedsgutachtenverfahren.
Abschnitt I (§§ 1-10 SL-Bau) umfasst u.a. Regelungen zur Verfahrenssprache, zum Ort des Verfahrens, zur Vertraulichkeit, zu Terminen / Fristen und zur Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des „Streitlösers“. Des Weiteren ist die Anforderung von Auslagenvorschüssen, die Kostenerstattung und die Haftung des Streitlösers thematisiert.
In Ergänzung zum Mediationsgesetz beinhaltet der Abschnitt II der SL-Bau Regelungen zum Mediationsverfahren (§§ 11-14 SL-Bau).
Mediation ist ein strukturiertes, freiwilliges und außergerichtliches Verfahren der Konfliktbearbeitung. Eine vermittelnde, neutrale, allparteiliche Person (Mediator) ermöglicht den Streitparteien (Medianten), miteinander in ein konstruktives Gespräch zu kommen, die Konflikthintergründe zu verstehen und eine Lösung zu erarbeiten, mit der sich alle Beteiligten identifizieren können. Der Mediator trifft dabei keine eigenen Entscheidungen bezüglich des Konflikts, sondern er ist für das strukturierte Verfahren verantwortlich. Im Vordergrund steht die selbstbestimmte Lösungsfindung: Kein "Dritter" (Richter, Schiedsrichter) entscheidet über das Ergebnis. Als freiwilliges Verfahren behält jede Konfliktpartei die Kontrolle über Inhalt und Ausgang des Verfahrens.
Im Rahmen der Schlichtung (§§ 15-21 SL-Bau) hat ein neutraler Schlichter den Auftrag, im Laufe des Schlichtungsverfahrens den Sachverhalt und die Rechtslage sowie die verschiedenen Positionen der Konfliktparteien einzuschätzen und aufgrund seiner Fachkenntnisse zu bewerten. In dieser Bewertung des Sachverhalts durch den Schlichter ist die Abgrenzung zum Mediationsverfahren zu sehen. Am Ende des Schlichtungsverfahrens kann der Schlichter auf der Grundlage seiner Fachkompetenz einen Vergleichsvorschlag zur Streitbeilegung unterbreiten (Schlichterspruch), dessen Wirksamkeit jedoch der Akzeptanz der Parteien bedarf.
Die Schlichtung fördert kooperative Verhaltensweisen der Parteien, indem sie auf eine einvernehmliche Lösung von Streitfragen hinwirkt. Wie im Mediationsverfahren verbleibt die "Herrschaft über den Konflikt" bei den Parteien, da der Schlichterspruch durch sie angenommen oder abgelehnt werden kann. Die Verfahrens- und – in Abgrenzung zur Mediation – auch die Entscheidungsautonomie (Schlichterspruch) obliegt hier jedoch dem Schlichter.
Adjudikation (§§ 22-29 SL-Bau) ist ein vor allem im angelsächsischen Rechtsraum verbreitetes Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten. Ist ein Adjukationsverfahren vertraglich vereinbart, muss ein Adjudikator auf Anrufung einer Partei innerhalb von kurzen Fristen über die vorgetragene Streitigkeit entscheiden. Gem. § 24 Abs. 2 SL-Bau hat sich der Adjudikator nach Einleitung des Adjudikationsverfahrens unverzüglich Kenntnis über das Projekt und den Gegenstand des Streits zu verschaffen sowie alle Tatsachen und Umstände zu ermitteln, die er für seine Entscheidung benötigt.
Die Adjudikationsentscheidung wird endgültig verbindlich, wenn nicht eine der Parteien binnen zwei Wochen ab Zustellung der Entscheidung durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Adjudikator widerspricht. Gleiches gilt, wenn sie einen bereits erklärten Widerspruch zurücknimmt. In diesem Fall ist über den Gegenstand des Adjudikationsverfahrens endgültig und für beide Parteien bindend entschieden
Durch die projektbegleitend vereinbarte Adjudikation können auftretende Streitigkeiten kurzfristig einer Klärung zugeführt werden. Hierdurch werden Sachverhalte / Fakten, deren Klärung ggf. durch den weiteren Projektablauf unmöglich oder erheblich erschwert wird, "gesichert" (Problem der Fortführung des Projekts, der "Überbauung"). Die am Bau Beteiligten erhalten durch eine schnelle Entscheidung Planungssicherheit. „Taktische "Spiele" der Parteien werden vermieden.
Das Schiedsgerichtsverfahren entspricht im Wesentlichen dem Gerichtsverfahren vor einem staatlichen Gericht. Das Schiedsgericht (§§ 30-46 SL-Bau) entscheidet unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges verbindlich über ihm vorgelegte Streitigkeiten.
Im Gegensatz zum Schlichter und Adjudikator ermittelt das Schiedsgericht die entscheidungserheblichen Umstände und Tatsachen nicht selbst, sondern berücksichtigt nur von den Parteien vorgetragene und bewiesene oder unstreitige Umstände und Tatsachen in seinem Schiedsspruch. Ist mit weiteren am Projekt beteiligten Dritten - z.B. Architekten, Subunternehmern, Lieferanten - ebenfalls die SL-Bau vereinbart, ist es möglich, durch eine Streitverkündung eine Bindungswirkung Dritter an den Schiedsspruch herbeizuführen (§§ 44 ff. SL-Bau).
Das Schiedsgutachtenverfahren (§§ 47-52 SL-Bau) eröffnet den Parteien die Möglichkeit, technische, aber auch rechtliche und betriebswirtschaftliche Fragestellungen durch einen Sachverständigen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens klären zu lassen. Die Feststellungen des Sachverständigen sind für die Parteien – auch für den Fall eines späteren (Schieds-)Gerichtsverfahrens verbindlich.
Mit der SL-Bau und ihren “Big Five“ der außergerichtlichen Konfliktlösungsverfahren steht den am (Anlagen-)Bau Beteiligten eine moderne, ausgereifte und umfassende Streitlösungsordnung zur Verfügung. Alle Verfahren können alternativ und auch kumulativ vereinbart werden. So können die Parteien z.B. im Rahmen einer Mediation ein Schiedsgutachten über strittige technische (Teil-)Fragen einholen.
Die Konfliktlösungsverfahren der SL-Bau bieten die Möglichkeit, den üblichen Gerichtsweg zu verlassen, um - nach Möglichkeit noch während der Bauausführung - kostengünstig, schnell und insbesondere unter Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung eine Konfliktlösung zu erreichen – probieren Sie es aus!
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